Evangelische Erwachsenenbildung

Volker Weymann, die Grundlagen theologischer Didaktik und der Evangelische Theologiekurs

1. Theologische Erwachsenenbildung mit Zukunft?!

Wie kann theologische Erwachsenenbildung gelingen? Wo kommt sie her und wo steht sie heute? Und wie kann sie jetzt für die Zukunft neu ausgerichtet werden? Das sind Schlüsselfragen kirchlicher Zukunft – und wohl auch der christlichen Zukunft. Denn in allen Unsicherheiten heutiger Übergänge ist klar: In der Kirche gibt es nirgendwo ein «weiter so». Lange selbstverständliche Gewohnheiten lösen sich auf.

Auch für uns als Fachstelle Fokus Theologie sind das entscheidende Fragen. Klar ist uns auch: Neue Aufbrüche können da nicht gelingen, wo sie blosse Abbrüche sind. Wer glaubt, der Weg in die Zukunft führt über geschichtsvergessene Ignoranz, wird nicht nur viele Fehler der Vergangenheit mit neuem Schwung wiederholen, sondern auch manches Gute verspielen.

Inmitten der Umbrüche heutiger Erwachsenenbildung nutzen wir das vierzigjährige Jubiläum des Evangelischen Theologiekurses (ETK), ausführlich zu würdigen, was diese Erfolgsgeschichte möglich gemacht hat.

In unserer Podcastfolge 40 Jahre Theologiekurs haben wir aus den Anfängen berichtet. Der Theologiekurs war eine Antwort auf Aufbrüche und Sehnsüchte der damaligen Zeit:

  • Es gab in den Gemeinden eine weitverbreitete Neugier auf die Erkenntnisse der Universitätstheologie, gerade auch am kritischen Potenzial der historischen Bibelauslegung und der Kirchengeschichtsschreibung.
  • Die Kirchentage in Deutschland und die Europäische Ökumenische Versammlung in Basel (1989) zeigten, dass sehr viele Gläubige an der Basis sich aus christlicher Motivation für sozialen Fortschritt, für den Schutz der Umwelt und den Dialog der Religionen einsetzen wollten.
  • Insbesondere viele Frauen waren nicht mehr bereit, klassisch männerdominierte Strukturen der Kirche zu ertragen. Veröffentlichungen der Feministischen Theologie und befreiungstheologische Impulse wurden stark nachgefragt und intensiv in vielen Basisgruppen diskutiert.

Der Theologiekurs hat viele dieser Sehnsüchte seiner Zeit aufgegriffen und gebündelt. Und mehr. Der Theologiekurs war von Anfang an ein neuer Gesamtentwurf, wie sich die Theologie neu für Erwachsene erschliessen lässt. In der Zeit, in der sich die Idee eines Theologiekurses langsam entwickelte, hat der Theologe und wesentliche Mitbegründer des ETK Volker Weymann seine Habilitation mit dem Titel «Evangelische Erwachsenenbildung» verfasst. Im Rahmen des diesjährigen 40jährigen Jubiläums möchten wir diesen Entwurf würdigen, weil er sich lesen lässt als ein wesentlicher Grundlagentext für die innere Logik des Theologiekurses.

2. Erfahrung und Glaube

Wie gelingt religiöse Bildung? Ältere Ansätze setzen auf eine katechetische Einführung in den Glauben, wo biblisch vorgegebene Inhalte ausgebreitet und angeeignet werden. Mit der gesamten neueren Religionspädagogik teilt auch Weymann die Voraussetzung:

Eine Logik des Hörens und Lernens ist im modernen Christentum nicht mehr glaubwürdig.

Wie im Podcast beschrieben, sind die 80er Jahre auch in der Schweiz ein endgültiger Abschied von einer solchen autoritären Kultur. Darum ist die menschliche Erfahrung der selbstverständliche Bezugspunkt einer modernen Religionspädagogik. Menschen glauben heute nicht, weil Glaube von der Tradition vorgegeben ist, sondern weil es ihnen heute persönlich einleuchtet.

Wird dieser Wandel bei Weymann vorausgesetzt, so setzt er sich mit einem einflussreichen modernen Entwurf auseinander, der die Religionsdidaktik entscheidend geprägt hat: Die Korrelationsmethode von Paul Tillich. Nicht Hören und Lernen, sondern Frage und Antwort stellt Tillich in Zentrum. Gottesglaube und Lebenserfahrung müssen miteinander vermittelt werden.

So steht auch eine Schlüsselfrage am Anfang und zieht sich durch das ganze Buch:

«Was kann dazu helfen, dass Lebenserfahrung und Glaube sich gegenseitig herausfordern und erschliessen?» (38)

Mit seinem theologischen Ansatz der Korrelation versucht Tillich zu zeigen, wie die göttliche Antwort und die menschliche Frage miteinander vermittelt werden können. Dabei ging Tillich keineswegs von einer einfachen Passung aus. Die Frage des Menschen nach Glück, nach Zukunft oder Sinn ist erst einmal unabhängig für sich zu sehen, so wie auch die Antwort Gottes, das Evangelium, nicht in Abhängigkeit gebracht werden darf. Beides muss ernst genommen und für sich verstanden werden, gleichzeitig besteht aber eine wechselseitige Beziehung zwischen beiden Seiten. Es gilt, immer wieder auch von Gott her die Fragen des Menschseins und vom Menschen her die Selbsterschliessung Gottes zu befragen.

Die Idee, dass sich die Botschaft des Glaubens in der konkreten Situation des Menschen als verständlich erweist, ist nach Weymann grundsätzlich angemessen. Auch die Gleichzeitigkeit von Abhängigkeit und Unabhängigkeit sei durchaus klug kombiniert und verhindert, dass beides beziehungslos bleibt oder das eine aus dem anderen heraus konstruiert wird. Und doch fragt Weymann, ob die Lösungen am Ende nicht oft zu glatt geraten. (44)

Weymann zeichnet nach, dass sich Tillich selbst, überall, wo er in anderen Werken Erfahrung und Glaube vermittelt, nicht immer an ein Schema von Frage und Antwort hält. Dieses Schema funktioniert bei ihm nur allgemein, wenn gelten soll, dass die Suche des Menschen nach wahrem Leben in der Entdeckung zum Ziel kommt, von Gott bedingungslos angenommen zu sein. Aber diese Passung bleibt auf einer sehr allgemeinen, abstrakten Ebene. Hier werden allgemein Gott und Mensch vermittelt, gewissermassen an den konkreten Lebenserfahrungen vorbei.

Weymann setzt sich mit damals einflussreichen und erfolgreichen Formen der kirchlichen Bildungsarbeit nach, wie dem Erwachsenenkatechismus und dem holländischen Katechismus. Beide waren stark inspiriert von Tillichs Theologie der Korrelation. Für beide spielte die Sinnfrage eine entscheidende Ausgangsposition. Menschliches Leben und christliche Überlieferung sollten gleichermassen ernstgenommen werden.

Weymann zeigt, dass dieses Schema je weniger funktioniert, je stärker die Rede auf die zentralen christlichen Themen von Jesus Christus und Erlösung kommt. Orientiert an der Theologie seines Lehrers Ebeling und dessen Lutherstudien arbeitet Weymann die Bedeutung von konflikthaften Lebenserfahrungen heraus, die das Evangelium von Jesus Christus ernst zu nehmen vermag.

Zu kurz kommt der Widerspruch des Wortes Gottes gegen uns. Gott ist nicht einfach die Antwort auf unsere Fragen, er stellt uns auch in Frage. Und das ist heilsam. Darum ist die Bibel für die evangelische Erwachsenenbildung unverzichtbar.

3. Bibel und Erwachsenenbildung

Theologische Bildung benötigt eine wechselseitige Erschliessung von Glauben und Leben. Der Glaube erschliesst sich nicht, ohne dass ich mein Leben ernst nehme. Das Leben erschliesst sich nicht, ohne eine solche Erfahrung des Einspruchs von aussen. Das ist die besondere Chance biblischer Texte in der Erwachsenenbildung.

Biblische Erzählungen sind «befreiende Gegengeschichten» (92).

Sie bringen nicht einfach zum Ausdruck, was wir immer schon fühlten, sie stellen uns in Frage. Sie zeigen uns, wie wir dem Leid ausweichen – und andere darin allein lassen, wie wir uns um Verantwortung drücken und uns selbst verlieren, wie wir nach Erfolg streben – auf Kosten von anderen.

«Gerade indem die christliche Botschaft auf die Situation des Menschen eingeht, sie aber nicht einfach bestätigt, sondern ihnen Widerstand leistet, fängt es an, dass Konflikte aufgedeckt und austragbar werden» (54)

Darum lehnt Weymann Ansätze ab, die glauben, durch themenorientierte Bildungsarbeit lässt sich allmählich eine Dimension menschlicher Grundfragen herausarbeiten, die quasi bruchlos zu einem Interesse an den biblischen Themen führe.

Vielmehr ist von Anfang an beides ernst zu nehmen. Die Texte der Bibel repräsentieren zunächst einmal etwas Fremdes, Anderes, das offensichtlich den Kreis der eigenen Lebenserfahrung für Neues öffnet. Dabei geht es keineswegs darum, diese Texte einfach als Lösung zu inszenieren, der sich Menschen trotz aller Unzugänglichkeit ihrer Aussagen zu unterwerfen haben. Diese Texte sind selbst Erfahrungsniederschlag von Menschen. Sie werden nicht als theologische Lösung gelesen.

Es gilt, die biblischen Texte «in ihrer Herkunft wie in ihrer Wirkung als Text gewordenes Leben zu entdecken, das Leben freizusetzen vermag.» (92)

Wer sich auf die biblischen Texte einlässt, kann sie als befreiende Gegentexte erfahren. Gerade diese Widerständigkeit und Fremdheit der Texte kann es ermöglichen, dass sie auch «Erfahrung eröffnen, weil sie in Spannung zur menschlichen Selbst- und Welterfahrung sich dem Widerfahrnis der Gnade und Wahrheit Gottes verdanken und dies zugänglich werden lassen.» (109)

Es ist gerade die historische Bibelwissenschaft, die durch Bewusstmachung damaliger Kontexte zu zeigen vermag, aus welchen existenziellen Erfahrungen diese Texte erwachsen sind. Die bibelwissenschaftliche Perspektive befreit die Texte aus der Festlegung durch ihre traditionelle Deutung. Exegese nötigt zum genauen Hinsehen: was steht da wirklich?

Daher ist es in der Begegnung mit den Texten auch keineswegs störend, sondern geradezu notwendig, dass Menschen ihre eigene Erfahrungswelt mit einbringen. Im Blick auf viele Erfahrungen der theologischen Erwachsenenbildung schreibt Weymann:

Wir können der «Unerschöpflichkeit des Textes und ebenso der Beobachtungsfähigkeit der Teilnehmer viel zutrauen. Es ist doch gewiss so, dass ein Kreis von Menschen mit ihren unterschiedlichen Wahrnehmungsmöglichkeiten mehr zu sehen vermögen, als etwa der Gesprächspartner allein selbst bei gründlicher Vorbereitung zu sehen vermag. (…) So werden der Text den Teilnehmern und diese sich gegenseitig die Augen öffnen helfen.» (111)

Biblische Texte verändern unseren Umgang mit unseren Erfahrungen, sie heben nicht auf und bestätigen nicht, sie werden zu einer Erfahrung mit der Erfahrung.

Wir lernen durch sie, «die Welt weder schlechtzumachen noch zu beschönigen, sondern sie so wahrzunehmen wie sie ist; ihr weder den Rücken zu kehren noch sie in der Suche nach der heilen Welt unter den Füssen zu verlieren». (148)

4. Die Logik des Theologiekurses

Diese Impulse sind tief in die DNA des ETK eingegangen. Das gilt schon für den grundlegenden Aufbau. Die biblischen Texte spielen im Theologiekurs eine grundlegendere Rolle als in anderen damaligen Formaten der christlichen Erwachsenenbildung. Sie bilden das eigentliche Rückgrat des Theologiekurses – bis heute, wie die Erfahrung zeigt. Zugleich ist in einem dreijährigen Zyklus dafür gesorgt, dass die Bibeltexte weder am Anfang nur Grundlage, noch am Ende nur Lösung sind. Die Bibel kommt in jedem Jahr zu Gehör, im Wechsel mit Glaubensthemen und Ethik, der Beschäftigung mit der eigenen Biographie oder dem Dialog der Religionen.

Zur evangelischen Bildung gehören zwei Bewegungsrichtungen: «vom Evangelium zum Leben – in bibelorientierter Bibelarbeit; vom Leben zum Evangelium – in themenorientierter Bildungsarbeit.» (10-11)

Die Kunst besteht darin, diese beiden Aspekte nicht beziehungslos nebeneinander zu stellen, sondern sie sinnvoll zu verzahnen.

In einem Vorwort zu ETK-Kursmaterialien schreibt Weymann 1989:

«Der Theologiekurs ist bewusst so aufgebaut, dass wir uns über die drei Kursjahre hin nicht erst nach und nach Herausforderungen annähern, die uns in unserm Leben heut­zutage beschäftigen. Vielmehr sollen jedes Jahr verschiedene Zugänge zu theologischen Entdeckungen so ineinander greifen, dass wir von der Bibel wie von gegenwärtiger Lebensverantwortung her an Fragen, die uns ver­traut sind, wie an Fragen, die uns herausfordern und überraschen kön­nen, lebensbezogener Theologie auf der Spur bleiben: dabei wird die Sache schon deshalb spannend, weil Lebenserfahrungen und Glaubens­fragen sich gegenseitig herausfordern und erschliessen.»

5. Vor welchen Herausforderungen stehen wir heute ?

David Plüss und Christina aus der Au stellten einmal fest: «Der Evangelische Theologiekurs (ETK) hat sich gleichsam zum Flaggschiff und Klassiker protestantischer Erwachsenenbildung in der Deutschschweiz entwickelt.» (75) Das ist auch heute noch richtig. Zugleich stehen wir auch vor neuen Herausforderungen. Damals hatte eine deutliche Mehrheit der erwachsenen Bevölkerung noch einiges Grundwissen über den christlichen Glauben. Es war auch in ganz anderer Weise als heute möglich, ein Interesse an kritischer Auseinandersetzung mit Glauben und Kirche vorauszusetzen.

Wir leben heute in einer anderen Zeit, auch mit neuen Fragen. Teilweise heisst es heute, dass angesichts des dramatischen Rückgangs der Theologiestudierenden die Fortbildung Ehrenamtlicher eine Schlüsselfrage sei. Was für eine Kirche wollen wir sein – und welche theologischen Bildungsangebote brauchen wir dafür? Das ist eine zutiefst theologische Frage. Kirche benötigt selbst wieder mehr Theologie; klassische Theologie – vermutlich aber auch theologische Ansätze, wie wir sie heute zu wenig kennen. So viel ist sicher: mit seiner Entscheidung, weder exklusiv bei den Menschen noch nur bei der Bibel anzusetzen, sondern beides miteinander in Verbindung zu bringen, hat der Theologiekurs eine Spur gelegt, die auch in Zukunft orientierend sein dürfte.

Literatur

Weymann, Volker, Evangelische Erwachsenenbildung. Grundlagen theologischer Didaktik. Stuttgart: Kohlhammer Verlag 1983.

Plüss, David, Degen-Ballmer, Stephan (Hg.): Kann man Glauben lernen? Eine kritische Analyse von Glaubenskursen, Zürich: TVZ 2008.