Hoffnung – eine spirituelle Trotzkraft

Wie wir Hoffnung lernen können, ohne die Realität verdrängen zu müssen | Von Thorsten Dietz

Ein Vortrag von Thorsten Dietz, gehalten auf dem Vorbereitungstag für den Kirchensonntag 2024, in Bern, 09. September 2023

Einleitung: Kirche als Ort der Hoffnung?! 

Wenn es um die Frage geht, was die Kirche den Menschen heute bieten kann, fällt häufig ein Stichwort: Hoffnung. Die Kirche lebt aus den biblischen Geschichten der Hoffnung, sie singt in ihren Gottesdiensten Lieder voller Hoffnung und verkündigt einen Gott der Hoffnung.

Und leben wir nicht in einer Zeit, die viele Menschen instinktiv ahnen lässt: Da ist heute so viel Sorge um die Zukunft und so wenig Vision, so viel Angst und so wenig Zuversicht – täte es unserer Zeit nicht gut, den Wert der Hoffnung neu entdecken zu lernen? Können wir als Kirche uns nicht dadurch profilieren, dass wir uns als einen Ort der Hoffnung in krisenhaften Zeiten verstehen?

Da ist viel dran. Als Kirchen sagen und tun wir so vieles, aber wissen es doch auch selbst: Wir wissen nicht alles besser und wir können nicht alles besser.

Die frühere Rolle der Kirche, in Staat und Gesellschaft vieles mitzubestimmen und den Menschen in ihr Leben reinzureden, nimmt man ihr aus guten Gründen nicht mehr ab.

Natürlich wäre es falsch, wenn Kirche sich auf eine rein religiöse Sonderwelt beschränken würde oder liesse. Christinnen und Christen sind von allen Herausforderungen unserer Zeit betroffen. Zugleich kann ihr christlicher Beitrag für die Allgemeinheit nur dann erkennbar sein, wenn er von einer eigenen Perspektive bestimmt und von einer eigenen Praxis getragen ist. Hoffnung ist ein Kernthema des christlichen Glaubens. Diese Hoffnung sichtbar zu machen, ist wertvoll und wichtig.

Aber gerade weil ich davon überzeugt bin, dass Hoffnung ein wichtiges Thema ist, sollten wir es vorsichtig angehen. Denn was Hoffnung ist und leistet, versteht sich nicht einfach von selbst. Auch verfügen wir nicht einfach exklusiv über Hoffnung. Jede vorlaute oder unbescheidene Selbstanpreisung steht uns nicht gut zu Gesicht. Was meinen wir damit, dass Kirchen Orte der Hoffnung sind?

1. Eine kleine Geschichte der Hoffnung

In der Hoffnung erwartet der Mensch eine positive Zukunft. Hoffnung ist das komplexe Gefühl einer Erwartungszuversicht, die zugleich alle geistigen Dimensionen des Menschen durchdringt; Wünsche und Denken, Wille und Phantasie. Sie beeinflusst die Wahrnehmung unserer Gegenwart und unsere Entscheidungen für die Zukunft. Wer hofft, erwartet nicht nur Gutes, er achtet auch auf erste Anzeichen positiver Entwicklungen und lässt sich jetzt schon von dieser Erwartung bestimmen. 

a) Hoffnung in der antiken Philosophie

Ist das etwas Positives? In der antiken Philosophie des Abendlandes wurde Hoffnung eher skeptisch gesehen. Hoffnung galt als gefährliche Selbsttäuschung, vor der sich der Weise hüten muss, wenn er den realistischen Blick auf die Wirklichkeit nicht verlieren möchte. Es ist alles andere als selbstverständlich, Hoffnung für etwas Gutes zu halten. Hoffnung kann als kindischer Gemütszustand erscheinen.

Kinder sind Hoffnungsriesen. Sie hoffen gerne, dass die Schule ausfällt – oder wenigstens die morgige Klassenarbeit. Dass es schon reichen wird, was sie so gelernt haben, oder dass niemand merkt, dass sie ihre Hausaufgaben unzureichend gemacht haben. Tut ihnen diese Hoffnungsbegabung gut? Nicht wirklich.

b) Jüdische Wurzeln der Hoffnung

Im Christentum ändert sich diese Einschätzung grundlegend – und das hat wesentlich mit den jüdischen Wurzeln des neuen Glaubens zu tun. Die Hebräische Bibel erzählt die Erinnerungen des Volkes Israel an einen Gott der Rettung und der Hoffnung. Die erfahrene göttliche Befreiung aus Ägypten wird zum Grund immer neuer Erwartungen seines Eingreifens – bis hin zur Überwindung des Todes in der Auferstehung aller Verstorbenen.

c) Hoffnung in der Kirchengeschichte

Diese alttestamentliche bzw. jüdische Entdeckung der Zukunft bestimmt auch das frühe Christentum. Und sie begründet im christlich gewordenen Europa ein ganz neues, zielgerichtetes Geschichtsdenken. Die Theologen des Mittelalters verstehen die Haltung der Hoffnung neben Glauben und Liebe als eine der drei theologischen Kardinaltugenden. Für Thomas von Aquin geschieht in der Hoffnung eine religiöse Ausrichtung der menschlichen Sehnsucht nach Glück auf Gott. Aus der Gewissheit des Glaubens erwächst in der Liebe zu Gott die Zuversicht, dass Gott das menschliche Leben in Glückseligkeit vollenden wird. Insofern vollendet die christliche Hoffnung im Menschen etwas, das von Natur aus in ihm angelegt ist.

d) Hoffnung in der Neuzeit

In der Neuzeit schwindet die selbstverständliche Voraussetzung einer von Gott umschlossenen Menschheitsgeschichte. Für die Aufklärung ist Gott kein Gegenstand möglichen Wissens mehr. Zugleich wird die Weltbetrachtung keineswegs hoffnungslos. Auch bei Kant gehört die Frage «Was kann ich hoffen?» neben «Was kann ich wissen?» und «Was soll ich tun?» zu den Grundfragen der Philosophie. Nur, dass nun die Moral und das menschliche Wirken in der Welt das Vertrauen auf Gottes Geschichtslenken ablösen. Nicht mehr die Beschäftigung mit der Möglichkeit eines künftigen ewigen Glücks, sondern die Arbeit an seiner eigenen Glückswürdigkeit ist dem Menschen aufgetragen. Ob aber Glückswürdigkeit und Glück jemals zusammenfallen, weiss allein Gott. Menschen können darauf allenfalls – hoffen.

Im zwanzigsten Jahrhundert wurde die Hoffnung vor allem bei Ernst Bloch ein zentrales philosophisches Thema. Bei ihm ist die Hoffnung nicht mehr eine religiöse Tugend, sondern allgemein die menschliche Grundhaltung der Antizipation und Imagination. Als solche richtet sie sich nun nicht mehr auf ein Jenseits oder ein unerreichbares Utopia. Der hoffende Sinn für die Zukunft leitet uns vielmehr an zu einem weltverändernden Handeln in unserer Zeit. Bloch verdichtet damit eine zutiefst moderne Tendenz des utopischen Denkens, in dem die Zukunft zu einem Menschheitsprojekt wurde: Sei es als Reich der Freiheit oder als Ort ewigen Friedens. Insbesondere die 1960er und 70er Jahre waren noch einmal eine zukunftsbegeisterte und hoffnungsfreudige Epoche – die aus heutiger Sicht lange her ist. 

2. Sinn der Hoffnung 

Wir sehen: Der Wert der Hoffnung unterliegt Zyklen und Einschätzungsschwankungen. Hoffnung kann begeistern und enttäuschen. Versuchen wir uns an einer ersten positiven Würdigung. 

a) Hoffnung als persönliche Ressource in Krisenzeiten

Selbst psychologische Studien zeigen, dass es einen Unterschied macht, ob Menschen sich in persönlichen Krisen selbst aufgeben und sich negativen Erwartungen überlassen – oder ob sie eine Hoffnung haben, dass es besser werden kann und dass sie Grund zur Zuversicht haben. Hoffnungsvolle Zukunftserwartungen verbessern in der Regel die tatsächlichen Zukunftsaussichten, zumindest in einem gewissen Mass.

Für nicht wenige religiöse Menschen stiftet ihr Glaube die Gewissheit einer Getragenheit in allem, was geschieht. Dieses Grundvertrauen strahlt aus auf die eigene Zukunftserwartung.

Manchmal verdichtet es sich in Hoffnungsaussagen wie: «Du kannst nicht tiefer fallen als in Gottes Hand.» Solche Zuversicht trägt Menschen und lässt sie auch Krisenzeiten überstehen.

Das wertschätzend wahrzunehmen mag einem auch dann möglich sein, wenn man persönlich einer solchen Glaubensoption nichts abgewinnen kann.

b) Hoffnung als Handlungsmotivation 

Gerade im neuzeitlichen Christentum wurde Hoffnung wiederentdeckt als Kraft für eine solidarische und gerechte Gestaltung der Welt. Seit dem 17. Jahrhundert setzt sich in vielen christlichen Strömungen eine Hoffnung auf bessere Zeiten schon in dieser Welt durch. In seinem Buch «Theologie der Hoffnung» (1964) hat der Theologe Jürgen Moltmann die zentrale Bedeutung der Hoffnung für den christlichen Glauben gewürdigt. Wer an die Auferstehung Jesu Christi von den Toten glaubt und den Verheissungen Gottes für die Zukunft vertraut, der kann sich mit der Welt nicht einfach abfinden, wie sie ist. Er weiss aber wohl, dass die Welt nicht aus menschlicher Kraft umzugestalten ist zu einem gerechten Reich Gottes.

Aber wer wirklich auf Gottes Herrschaft hofft, wartet nicht einfach ab, sondern geht ihr entgegen, so, dass er in allen Lebensbereichen Zeichen des neuen Lebens zu setzen versucht .

So setzt sich in vielen christlichen Kirchen eine Haltung durch, die den Glauben sichtbar machen will durch den gemeinsamen Einsatz für Frieden auf Erden, eine gerechte Gesellschaft und für die Bewahrung der Schöpfung. Die Hoffnung auf Gottes Zukunft wird zur Motivation zu gesellschaftlichem Handeln hier und jetzt. Hoffnung erweist sich dabei als stabile Handlungsmotivation.

c) Hoffnung als Möglichkeitssinn 

Hoffnung bewegt nicht nur das Handeln, Hoffnung beflügelt auch die Phantasie. Es ist eine Sache, sich von der eigenen Hoffnung zum Handeln für das Gute motiviert zu sehen. Etwas anderes ist es, immer wieder neue Ideen des Guten und Gerechten zu entwickeln. Neue Protestformen gegen das Böse zu ersinnen, neue Vergemeinschaftungen zu stiften und neue Visionen zu entfalten.

Hoffnung stimuliert unseren Möglichkeitssinn. Sie gibt nicht nur die Kraft, das als gut Erkannte beharrlich zu verfolgen. Sie gibt auch die innere Freiheit, noch einmal ganz neue Möglichkeiten eines guten Lebens zu entdecken.

Die gewaltlosen und zugleich wirkmächtigen Protestformen der schwarzen Bürgerrechtsbewegung in den USA und die Impulse der Kirchen in der DDR zu einer friedlichen Revolution 1989 sind Beispiele, wie Menschen aus christlicher Motivation heraus einen kreativen Unterschied machen können.

3. Zerbrechliche Hoffnung

Lautet das Fazit also: Kirchen feiern sich als Orte der Hoffnung, weil Hoffnung einfach gut tut? So einfach ist es nicht. Viele Menschen haben ihre eigenen Erfahrungen mit Hoffnung gemacht, Hoffnung auf die Zukunft und Hoffnung auf Gott; und nicht nur gute. Hoffnungen können scheitern. Die Hoffnung stirbt zuletzt, heisst es im Sprichwort. In der Regel gilt dies als Satz, der die Stärke der Hoffnung herausstreicht. Man könnte einwenden: Ja, aber selbst im Sprichwort stirbt sie zuletzt – ist dieses langsame Sterben denn wirklich nötig?

Kann es nicht auch schädlich für die Seele sein, nicht nur negative Erfahrungen verkraften zu müssen, sondern zu allen Verlusten hinzu am Ende auch noch die Hoffnung zu beerdigen?

Stellen wir uns vor, wir würden immer mit dem Schlimmsten rechnen und hätten gleichzeitig die Fähigkeit zur Dankbarkeit bewahrt, auch das eigene Verschontwordensein würdigen zu können – wäre das nicht besser?

Es ist keineswegs so, dass die biblischen Texte Hoffnung quasi blind anpreisen. Die biblischen Texte sind voller geplatzter Hoffnungen. Schon im zwischenmenschlichen Bereich kennen biblische Personen den Schaden, den enttäuschte Hoffnung anrichten kann. Eine Frau sagt zum Propheten Elisa: «Habe ich nicht gesagt, dass du mir keine Hoffnung machen sollst?» (2Kö 4,28) Auch Gott trifft dieser Vorwurf. Der leidende Hiob hält ihm vor: «Steine werden vom Wasser zerrieben, der Wolkenbruch schwemmt das Erdreich fort: So machst du die Hoffnung des Menschen zunichte.» (Hi 14,19) Über alles Übel hinaus kann Gott auch dem Menschen die Hoffnung rauben: «Ganz und gar hat er mich zerbrochen, und ich fahre dahin, und meine Hoffnung hat er ausgerissen wie einen Baum.» (Hi 19,10)

Im babylonischen Exil wird dies zur Erfahrung des ganzen Volkes Israel. Dass der Tempel für immer bestehen würde, schien ausgemacht. Nun aber heisst es: «Verloren ist mein Ruhm und meine Hoffnung auf den HERRN.» (Klgl 3,18)

Auch das Neue Testament handelt von solchen zerstörten Hoffnungen. Noch im letzten Kapitel des Lukasevangeliums begegnen uns Menschen, die vor ihrer zerstörten Hoffnung stehen. Sie erinnern sich an «Jesus von Nazaret, der ein Prophet war, mächtig in Tat und Wort vor Gott und dem ganzen Volk, und wie unsere Hohen Priester und führenden Männer ihn ausgeliefert haben, damit er zum Tod verurteilt würde, und wie sie ihn gekreuzigt haben.» (Lk 24,19-20) Und fügen hinzu: «Wir aber hofften, er sei es, der Israel erlösen werde.» (Lk 24,21)

War es nicht die Hoffnung der Jesus-Gemeinschaft, dass sein Einzug in Jerusalem nur der Auftakt sein sollte zu etwas ganz Wunderbarem, einer Erneuerung des ganzen Volkes und dem Anbruch des Reiches Gottes? Dass aus dem «Hosianna» binnen Wochenfrist ein «Kreuzigt ihn!» werden könnte, lag vollständig jenseits ihres Vorstellungsvermögens.

Und nachdem der Tod nicht das Ende war, nachdem es einen Neuanfang gab, auf den niemand gehofft hatte – was lag näher als zu hoffen, dass dieser auferstandene Jesus Christus noch zu Lebzeiten seiner ersten Gläubigen sich der ganzen Welt erweisen würde als der, den der Tod nicht bezwingen konnte. Dass nicht nur einige seiner ersten Gläubigen sterben würden, sondern alle, die ihn gekannt hatten, und alle, die die gekannt hatten, die ihn gekannt hatten – das hätte vielleicht selbst den so wortgewaltigen Paulus zum Schweigen gebracht.

Man sollte sich hüten, vorschnell einzuwerfen: Ja, aber Gott hat sich ja doch immer wieder als treu erwiesen, sein Volk befreit, Jesus auferweckt und neue Zeugen seines Handelns berufen. Ja, aus diesem Vertrauen und dieser Hoffnung lebt die Kirche.

Aber die Hoffnung wird oberflächlich, wenn sie die Abgründe überspringt, durch die viele Gläubige angesichts ihrer geplatzten Hoffnungen gehen müssen.

Die Bibel ist kein optimistisches Buch. Sie bietet keinen Leitfaden zum positiven Denken, keine Rezepte für ein erfolgreiches Leben. Dinge gehen in der Bibel regelmässig schief. Kurz sind die Kapitel ungetrübten Glücks – und lang die Klagen auf der Flucht und in der Fremde.

Hoffnung ist keine Pflicht. Wer die Hoffnung verliert, ist nicht gescheitert. Verzweiflung ist keine peinliche Schande, sondern schweres Schicksal.

Die christliche Hoffnung kennt keinen Ostersonntag ohne Karfreitag. Sie weiß um keine durch die Auferstehung begründete Hoffnung, die das Kreuz in Vergessenheit bringt.

4. Hoffnung wider Hoffnung

Biblische Hoffnung ist eine Trotzdem-Hoffnung. Hoffnung ist kein irrationaler Optimismus für Verlierer.

Hoffnung ist etwas für die, die am Optimismus schon gescheitert sind; oder mehr noch: an denen blosser Optimismus schon gescheitert ist. 

Abraham ist für Paulus Vorbild einer solchen hoffnungslosen Hoffnung: „Wider alle Hoffnung hat er auf Hoffnung hin geglaubt, und so wurde er zum Vater vieler Völker, wie es heisst: So zahlreich werden deine Nachkommen sein.“ (Röm 4,18)

Die Erzählung von Abraham und Sarah zeigt etwas für die Hoffnung Typisches. Die Erzeltern brechen aus ihrer Heimat auf mit dem Vertrauen auf die göttliche Verheissung, dass Gott ihnen Land und vor allem Nachkommen schenken wird. Nur: Abraham und Sara sind in ihrem Handeln keineswegs durchgehend von dieser Hoffnung bestimmt. Angesichts ihres Alters musste Sara über die Verheissung eines Kindes lachen (Gen 18,13). Und Abraham hielt es für eine gute Idee, mit Hilfe von Saras Magd Hagar Gottes Verheissungen auf die Sprünge zu helfen.

Die Erzeltern waren keine Hoffnungsriesen. Aber sie haben an dem Gott der Verheissung festgehalten. Sie lebten in der Offenheit für das Unverhoffte. 

Christliche Hoffnung ist etwas anderes als Optimismus. Und sie ist mehr als Zuversicht.

a) Christliche Hoffnung ist enttäuschungserprobt

Die Hoffnungserzählungen unserer biblischen Tradition sind nicht glänzend. Sie alle tragen die Spuren des Scheiterns an sich. Darum ist christliche Hoffnung frusterfahren und enttäuschungserprobt. Darin besteht keine Schwäche. Wir wollen nicht die Fähigkeit zur Enttäuschung verlieren. Nicht die Enttäuschung über menschliche Friedlosigkeit oder Unbelehrbarkeit schadet uns. Verloren sind wir, wenn wir uns an die Unerlöstheit dieser Welt gewöhnen. Wenn wir zu abgestumpft sind, als das irgendetwas uns noch berühren könnte Wenn wir verlernt haben, ungeduldig mit Gott zu ringen und sein fehlendes Eingreifen zu beklagen.

Im Unterschied zum optimistischen Positivdenken weigern sich die Hoffenden, die Augen zu schliessen. Hoffnung ist voller Erinnerung an die Niederlagen der Menschlichkeit. Hoffnung weiss, dass sich das Gute nicht erzwingen lässt. Für die Hoffenden ist es kein Widerspruch, dass sie das Gute mit Tränen im Gesicht erwarten.

b) Christliche Hoffnung ist leidsensibel

Zur christlichen Hoffnung gehört die Sensibilität für die Leiden unserer Zeit. Der Blick von unten ist der Kirche aufgegeben, von Anfang an. Christliche Hoffnung macht nicht blind für die Leiden der Zeit, im Gegenteil, sie macht sehend. Christliche Hoffnung überspringt nicht die Realität, sie leidet solidarisch mit. «Der Mensch hofft nicht nur für sich selbst, sondern eben auch für die anderen und mit allen anderen». (Thomas Schlag)

Als Reformierte Kirche ist uns Überschwang verdächtig, Unvernunft ein Laster und Prahlerei peinlich. Das gilt auch für unser Zeugnis von der christlichen Hoffnung.

Als Reformierte Kirche haben wir gelernt, zurückhaltend von Gott zu reden. Es gibt keinen Grund, dass uns das peinlich ist. Die Scheu vor der Gottesrede ist ein zutiefst biblisches Motiv. Angesichts gegenwärtiger Leiden kann ein leises Zeugnis der Hoffnung angemessener sein als triumphalistische Behauptungen. Aber zugleich wollen wir auch darum Orte der Hoffnung sein, Orte, in denen Leiden ernstgenommen, aber nie für selbstverständlich gehalten wird.

c) Christliche Hoffnung ist voller Trotzkraft

Christliche Hoffnung ist christlich, weil sie in den Christusgeschichten verwurzelt ist und nicht in unserer Befähigung zu Wünschen und Träumen.

Sie entsteht im Hören auf die Hoffnungsgeschichten der Bibel, sie findet Worte in den Gebeten und Gesängen unserer Gottesdienste und Feiern, sie findet Halt in einer Gemeinschaft, in der wir uns gegenseitig an die Hoffnung erinnern.

So wie wir an Jesus Christus als an das grosse Trotzdem Gottes glauben, so ist auch unser Glaube eine Art Trotzigkeit. Was ist, kann niemals alles oder endgültig sein. Darum gibt es Glauben nicht ohne Hoffnung. Solche Hoffnung haben wir nicht einfach auf Lager. Wir können sie nicht einfach weitergeben. Als Erzählgemeinschaft verfügen wir aber über einen Schatz von Geschichten, an denen sich Hoffnung entzünden kann. 

Als Kirche sind wir nicht einfach die Insel der Glückseligen, auf die die Menschen sich auf der Flucht aus dieser Welt retten können. Wir hoffen nie gegen die Welt, sondern stehen mittendrin. Mit geöffneten Augen und offenem Herzen. Darum sind unsere Kirchen Orte der Hoffnung, die für alle offen sind.

Literatur

Ingolf U. Dalferth (2016): Hoffnung. Berlin/Boston: Walter de Gruyter.

Thorsten Dietz (2022): Hoffnung in Zeiten der Krise. Über Religion als mögliche Ressource in der Sozialen Arbeit. In: Joachim Henseler, Thomas Kurtz (Hg.): Soziale Arbeit in der Krise? Soziologische und sozialpädagogische Analysen. Wiesbaden: Springer VS, 161-179.

Steffen Kern (2023): Hoffnungsmensch. Mit dem Himmel im Herzen die Welt verändern. Holzgerlingen: SCM Verlag.

Andreas M. Krafft und Andreas M. Walker (2018): Positive Psychologie der Hoffnung. Grundlagen aus Psychologie, Philosophie, Theologie und Ergebnisse aktuelle Forschung. Berlin: Springer Verlag. 

Jürgen Moltmann (1964/142005): Theologie der Hoffnung. Untersuchungen zur Bdgründung und zu den Konsequenzen einer christlichen Eschatologie. Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus. 

Jürgen Moltmann (2010): Ethik der Hoffnung. Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus.

Thomas Schlag (2023): Hoffnung. In: Das wissenschaftlich-religionspädagogische Lexikon im Internet. http://www.bibelwissenschaft.de/stichwort/201103/

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